Marokko Teil 11

Kletter-Trip in der Todra Schlucht

Vom 17. bis zum 28. November 2018 kommen endlich unsere über so viele Kilometer transportierten Klettersachen zum Einsatz. Es wird sportlich. Die Todra Schlucht liegt im Atlasgebirge auf einer Höhe von ca. 1400 Meter am Boden, aus dem ca. 400 Meter hohe Steilwände ragen. Der Qued Todra (Fluss) hat sich dort in die letzten Gebirgsketten des Hohen Atlas eingeschnitten.

Als wir bei unserer Unterkunft ‚Camping de l’ Atlas’ in der Nähe von Tinghir ankommen, bekommen wir erst einmal einen Kälteschock: 10 Grad misst das Thermometer als wir am Abend aus dem Bus steigen. Wir kramen umgehend unsere Wintermäntel heraus, welche schließlich auch nicht umsonst mitgeschleppt sein wollen. Es gibt heiße Duschen und schnelles Internet, so dass wir es uns erst einmal in der Morla mit unseren ‚Tatort‘ Folgen und ein paar Pfannkuchen gemütlich machen können. Landschaftlich ist die Todra Schlucht sehr beeindruckend. Dramatische Felswände ragen links und rechts vom Todra Fluss empor und bilden einen malerischen Canyon. Beeindruckend ist auch der Kontrast zwischen den grünen Oasen und dem rotem Gestein der Felswände, zwischen denen kleine Lehmdörfer und alte Kasbahs eingebettet sind. An beiden Seiten des Todraflusses erstreckt sich ein Palmenhain und man sieht viele bewässerte Gärten, in denen diverse Obst- und Gemüsesorten sowie Soja und Minze gedeihen.

Nachdem wir den Canyon ausgiebig bestaunt haben, beschnuppern wir die Kletterwände der Todra Schlucht. Sie bestehen aus rauhem Kalkstein und wir sind gleich begeistern von dem guten Halt der vielen Tritte und Griffe. Von den ca. 300 Kletterrouten, die es hier gibt, fangen wir zuerst mit einer einfachen im Schwierigkeitsbereich 5 an. Es macht Spaß und motiviert uns, weiter zu machen. Wir haben die Kletterwand außerdem fast ganz für uns alleine, nur 1-2 andere Kletterpaare können wir aus der Ferne erspähen. Das Wetter macht dann unserem Kletter-Eifer erst einmal einen Strich durch die Rechnung: Drei Tage lang ist es schweinekalt, regnerisch und grau. Kuscheltage in der Morla stehen von daher auf dem Programm.

Zwischendurch fahren wir immer wieder die anliegende, 45000 Einwohner umfassende Stadt Tinghir um einzukaufen oder Gas aufzufüllen. Interessant finden wir die tradidionelle Kleiderpracht der Frauen hier. Es sieht ein bisschen aus, als hätten sie sich eine Gardine aus Tüll übergeworfen. Wir besuchen auch den Souk in Tinghir. Dieser hat wohl eine hundertjährige Tradition. Das Gelände ist in vier von breiten Wegen getrennte Sektoren aufgeteilt, wobei jeder Sektor auf bestimmte Produkte spezialisiert ist, z.B. Gewürze und Getreide/ Handwerksgegenstände bzw. landwirtschaftliche Erzeugnisse wie Datteln und Oliven/ Obst und Gemüse. Irgendwo dazwischen finden wir sogar einen Stand mit knallbuntem Popcorn. Es ist interessant, aber auch anstrengend durch den Souk zu schlendern. Gegen den Stress hilft dann der Verzehr von kleinen, pappsüßenTörtchen, die wir in einem kleinen Laden am Wegrand entdeckt haben. Man gönnt sich ja sonst nichts.

Irgendwann kommt die Sonne dann endlich wieder heraus und wir machen uns sofort auf zur Kletterwand. Um den Schwierigkeitsgrad zu steigern, nehmen wir uns erst eine Zweiseil-Route vor und dann eine Route mit vier Seillängen. Da es so gut funktioniert, wird unser Ehrgeiz angestachelt: Wie wäre es, wenn wir versuchen, die gesamte Route mit ca. zehn Seillängen (zumindest laut ‚Kletterführer’) bis ganz nach oben zu klettern? Diese Challenge nehmen wir uns für den letzten Tag in der Todra Schlucht vor. Wir sind sehr aufgeregt. So sehr, dass wir in der Nacht zuvor kaum schlafen können. Gemeinsam sind wir schließlich noch nie so weit in die Höhe geklettert. Um 10 Uhr morgens stehen wir am noch kalten Fels. Trotz schmerzender Hände machen wir uns furchtlos auf den Weg nach oben. Die ersten fünf Seillängen gehen flott und ohne Komplikationen voran. Doch dann fängt es langsam an, anstrengend zu werden. Und zwar sehr. Unsere Füße schmerzen von den engen Kletterschuhen und die Muskelkraft lässt langsam aber beständig nach … doch wir sind guter Dinge, denn laut unseres ‚Kletterführers’, den wir von unserem Campingplatzmanager ausgeliehen haben, sollen es ‚nur noch’ fünf weitere Seillängen bis ganz nach oben sein. Außerdem sind die letzten Abschnitte mit der Schwierigkeitsstufe 4 markiert. Doch leider hat sich der Verfasser des ‚Kletterführers‘ vertan. Es sind noch weitere sieben Seillängen zu erklimmen. Die Schwierigkeitsstufen der restlichen Abschnitte liegen nach unserer Einschätzung mindestens bei 5. Nach der 7. Seillänge sind wir (zumindest Mägdi) völlig k.o. Die Hände sind total aufgeschürft, die Arme zittern vor Anstrengung, alles tut weh. Dazu kommt ein mentaler Zustand, den man als Besorgnis erregend bezeichnen könnte: ‚Scheiße ist das hoch! Wie kalt der Wind hier oben weht … Wie es sich wohl anfühlt, so tief abzustürzen? Die Sonne geht bald unter … ob man es überleben kann, bei 8 Grad Kälte an der Wand zu übernachten? Wie es sich wohl anfühlt, zu erfrieren?‘ Wir müssen uns wirklich zusammenreißen, um uns derartigen Gedanken nicht hinzugeben, sondern uns auf das Ziel zu konzentrieren. Dazu kommt die Bürde des Vorsteigers Toni, nie genau zu wissen, wo der nächste Haken am Fels zur eigenen Sicherung zu suchen ist. Teilweise ist die Entfernung zwischen den einzelnen Haken bis zu sieben Metern, und das auf einer Höhe von ca. 300-400 Metern, wenn man bereits völlig entkräftet ist. Wir wissen nicht genau, wie wir es geschafft haben – aber wir haben es geschafft! Zwar sehr knapp und kurz vor dem Sonnenuntergang, aber immerhin: 400 Höhenmeter und 12 Seillängen in ca. sieben Stunden. Das Gefühl dann ganz oben zu stehen und nach unten zu blicken ist unbeschreiblich! Wir fühlen uns unbesiegbar und fast ein bisschen größenwahnsinnig nach dem Motto: ‚Jetzt können wir alles schaffen!‘ Erschöpft aber glücklich treten wir den zweistündigen Fußmarsch zurück zum Ausgangspunkt an. Bei der Morli kommen wir mehr kriechend als aufrecht gehend an, sind aber unglaublich stolz auf uns. Wir sind heute in der Tat über uns selbst hinausgewachsen. Und das fühlt sich verdammt gut an!

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